
Die Stadt Norden ist reich an historischen Bauwerken, die von ihrer bewegten Vergangenheit zeugen. Besonders rund um den Marktplatz prägen beeindruckende Bürgerhäuser und ehemalige Patrizierhäuser das Stadtbild. Eines dieser Bauwerke ist die Mennonitenkirche in Norden, ein Gebäude mit außergewöhnlicher Architektur und einer faszinierenden Geschichte. Ursprünglich als prächtiges Wohnhaus eines einflussreichen Juristen errichtet, wurde es später zur Kirche umgestaltet – eine Wandlung, die sich noch heute in vielen architektonischen Details widerspiegelt.
Vom Patrizierhaus zur Kirche – Die bewegte Vergangenheit des historischen Gebäudes
1662 ließ Engelbert Kettler, ein wohlhabender Anwalt und Regierungsrat, das palaisartige Wohnhaus erbauen. Die Fassade mit ihrer repräsentativen Freitreppe, den Kolossalpilastern mit ionischen Kapitellen und den kunstvollen Fruchtgehängen zeugt von seinem Status. Nach mehreren Eigentümerwechseln kaufte 1795 die Mennonitengemeinde das Gebäude. In den Folgejahren wurde es umfangreich umgebaut: Der linke Gebäudeteil erhielt einen zweigeschossigen Kirchsaal mit Tonnengewölbe, der Platz für bis zu 150 Gläubige bietet. Auch die charakteristischen niedrigeren Flügelbauten entstanden in dieser Zeit, wodurch sich die einstige Patriziervilla zu einem harmonischen Gebäudeensemble wandelte, das eine Kirche beherbergt.
Die Mennoniten – Eine besondere Glaubensgemeinschaft
Mit dem Kauf des Gebäudes erhielt die Mennonitengemeinde in Norden erstmals eine feste Kirche. Doch wer sind eigentlich die Mennoniten? Sie sind die älteste reformatorische Freikirche, deren Wurzeln bis ins Jahr 1523 zurückreichen. Ihr Name geht auf Menno Simons (1496–1561) zurück, einen ehemaligen katholischen Priester, der sich der Täuferbewegung anschloss und maßgeblich zu ihrer friedfertigen Ausrichtung beitrug. Wegen ihrer Überzeugungen wurden die Mennoniten über Jahrhunderte hinweg verfolgt und in viele Länder vertrieben. Heute gibt es weltweit etwa 1,7 Millionen Mennoniten, in Deutschland existieren rund 130 selbstständige Gemeinden.
Die Mennoniten orientieren sich am Neuen Testament, insbesondere an der Bergpredigt. Ein zentrales Merkmal ihrer Glaubenspraxis ist die freiwillige Erwachsenentaufe, die eine bewusste persönliche Entscheidung voraussetzt. Eine strikte Hierarchie gibt es nicht – alle Gemeindemitglieder tragen gemeinsam Verantwortung. Dogmen lehnen sie ab, stattdessen steht das gelebte Christsein im Mittelpunkt. Besonders prägend ist ihr Friedenszeugnis: Über Jahrhunderte hinweg haben sich Mennoniten als überzeugte Pazifisten verstanden und setzen sich bis heute für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung ein.
Die Mennoniten in Norden sind seit 1556 belegt. Über die Jahrhunderte hinweg spielten sie eine bedeutende Rolle in der Stadtgeschichte. Auch wenn die Norder Gemeinde heute mit etwa 40 Mitgliedern vergleichsweise klein ist, bleibt sie aktiv – sowohl im ökumenischen Austausch als auch in der Bewahrung ihres reichen Erbes.
Architektonische Besonderheiten der Mennonitenkirche in Norden
Die klassizistisch-barocke Backsteinfassade mit ihren niederländischen Einflüssen hebt sich eindrucksvoll im Stadtbild ab. Besonders bemerkenswert ist das bleierne Tonnendach, das in Ostfriesland einzigartig ist. Im Inneren findet sich ein weiteres Highlight: Die kunstvolle Schablonenmalerei aus dem Jahr 1900 verleiht dem Kirchenraum einen außergewöhnlichen, vom Neo-Rokoko geprägten Charakter. Ein Stil, der in mennonitischen Gotteshäusern eine absolute Rarität darstellt. Typisch für die Mennoniten verzichtete man dabei auf Kreuze oder Bilder Gottes.
Erhalt und heutige Nutzung
Die jahrhundertealte Bausubstanz erforderte mehrfach Restaurierungsarbeiten. Bereits 2007 wurde der historische Dachstuhl erneuert, 2022 folgte die Sanierung des Dachreiters und der Umzäunung. Heute dient das Gebäude nicht nur als Kirche, sondern auch als modernes Gemeindezentrum mit Gruppenräumen und einer kleinen Terrasse für Veranstaltungen. Trotz der Veränderungen bewahrt die Mennonitenkirche in Norden ihren historischen Charme und bleibt ein beeindruckendes Zeugnis der Norder Stadtgeschichte.